Eine soziologische Studie
"The Walking Dead" ist eine der erfolgreichsten neuen Serien der
vergangenen Jahren. Dem Sender AMC hat sie die höchsten Einschaltquoten
seiner Geschichte beschert, in den USA ist es die meistgesehene
Kabelserie aller Zeiten. Das ist einigermaßen erstaunlich, da sie einem
Genre zuzurechnen ist, das gemeinhin nur eine kleine Minderheit der
Film- und Fernsehgucker interessiert, nämlich dem Zombie-Film
beziehungsweise der Zombie-Serie (wobei ich jetzt keine zweite Serie
wüsste, die sich dem gleichen Thema verschrieben hätte, ein eigenes
Genre kann man damit also eigentlich nicht aufmachen).
Hauptperson ist Sheriff Rick Grimes (Andrew Lincoln), der bei einem
Feuergefecht mit Kriminellen verwundet wird und erst einige Wochen
später im Krankenhaus wieder aufwacht. Dabei muss er feststellen, dass
die Welt während seiner geistigen Abwesenheit von einem Virus befallen
wurde, der jeden Menschen kurze Zeit nach seinem Tod als Zombie
wiederauferstehen lässt. Die Zombies haben Appetit auf Menschenfleisch
und sorgen durch einen Biss dafür, dass sich ihre Mahlzeit in kürzester
Zeit in einen der ihren verwandelt und ebenfalls mit gurgelnden Lauten
auf der Suche nach Nahrung durch die Landschaft taumelt. Nur durch
Zerstören des Gehirns können die Untoten zu echten Toten gemacht werden,
man kennt das ja aus den Zombie-Filmen etwa von George Romero.
Die staatliche Ordnung hat sich aufgelöst, Polizei und Militär gibt es
nicht mehr, Hörfunk und Fernsehen schweigen. Die überlebenden Menschen
haben sich größtenteils zu kleinen Gruppen zusammengeschlossen, um sich
gegen die Zombie-Plage zu verteidigen. Und hier wird es spannend: Denn
"The Walking Dead" interessiert sich nur nebenbei für den Kampf Mensch
gegen Zombie, dieser Krieg ist von vornherein verloren. Das Augenmerk
der Serie richtet sich stattdessen auf die menschlichen Gemeinschaften,
die nach der Katastrophe auf sich selbst gestellt sind. "The Walking
Dead" ist ein soziologisches Experiment.
Die einzelnen Staffeln grenzen sich durch unterschiedliche Schauplätze
voneinander ab. Die erste Staffel springt zunächst noch von einem Ort
zum nächsten: Sheriff Rick stößt in der Stadt auf erste Verbündete,
findet dann auf dem Land seine Frau und seinen Sohn wieder und zieht mit
ihrer Gruppe zu einer Forschungseinrichtung, wo man nach einem
Gegenmittel gegen den Zombie-Virus suchte. In der zweiten Staffel ist
der örtliche Rahmen dann schon klar umrissen. Sie spielt durchgängig auf
einer abgelegenen Farm und zeigt, wie die Großfamilie des Farmers mit
Ricks Gruppe verschmilzt, und sie zeigt die Opfer, die dieser Prozess
fordert. In der dritten Staffel ziehen die Reste der Farmgemeinschaft in
ein verlassenes Gefängnis, dessen Stacheldrahtzäune und Gitter perfekten
Schutz gegen die von den Zombies beherrschte Außenwelt bieten. Größere
Gefahr droht jedoch von einer Siedlung in der Nähe, wo einige Hundert
Menschen unter dem Kommando eines Diktators, der sich "Governor" nennen
lässt, den Straßenzug einer Kleinstadt gegen die Zombies abgedichtet
haben.
Die Serie beobachtet die Interaktion innerhalb der einzelnen Gruppen,
wie die handelnden Personen zu Entscheidungen gelangen und wie sie ihre
Konflikte lösen. Der Grundton ist pessimistisch, Untergang und Tod der
restlichen Menschen scheinen unabwendbar. Der Titel "The Walking Dead"
lässt sich in diesem Kontext auch so interpretieren, dass die
Protagonisten eigentlich schon tot sind, nur noch sinnlos herumirrende
Leichen.
Beim verzweifelten Kampf ums Überleben werden die Regeln einer
zivilisierten Gesellschaft zunehmend ignoriert. Alles, was die eigene
Gruppe bedrohen könnte, wird bekämpft. Rick, als Sheriff einst ein
Gesetzeshüter, ermordet Fremde genauso wie Mitglieder der eigenen Gruppe
im Bestreben, die Gemeinschaft zu beschützen. Neuankömmlinge werden mit
Misstrauen empfangen und zumeist wieder vertrieben, hilflose
Einzelgänger überlässt man dem Tod.
Spätestens ab der dritten Staffel schlägt "The Walking Dead" dann eine
neue Richtung ein. Im Kampf um sichere Rückzugsorte, die sich zum Anbau
von Nahrung eignen, setzen die Überlebenden die bissigen Untoten
zunehmend als Waffe ein, um den Gegner zu dezimieren. Die Zombies sind
nur noch eine Art Landplage, lästig, durchaus gefährlich, aber, von
einigen Unfällen einmal abgesehen, insgesamt durchaus beherrschbar.
Wesentlich mehr Opfer fordern die Verteilungskämpfe zwischen den
einzelnen Gruppen. Und es zeigt sich, dass die größte Gefahr für den
Menschen immer noch der Mensch selber ist.
"The Walking Dead" funktioniert, da man die Hauptfiguren über einen
langen Zeitraum immer besser kennenlernt. Zudem verändern sie sich durch
die Geschehnisse, sie entwickeln sich weiter, einige in eine positive
Richtung, andere in eine negative. Als Zuschauer versteht man, was in
ihnen vorgeht, und auch wenn viele Figuren keine Sympathieträger sind,
interessiert man sich für ihre Schicksale. Denn obwohl es sich um eine
Zombie-Serie handelt, geht es hier in erster Linie um die Menschen.
"The Walking Dead" ist in Deutschland über Fox im Zweikanalton zu sehen.
Im Free-TV liefen die ersten drei Staffeln bei RTL II, das sie als
Event-Programmierung jeweils an einem Wochenende ausstrahlte. In den USA
läuft aktuell die vierte Staffel, eine fünfte Staffel ist bereits
bestellt.
"The
Walking Dead" in der IMDB
Der deutsche Trailer zur ersten Staffel: