Geschrieben am Samstag 24 November 2012 um 10:41 von Roland Freist
Zwei Figuren aus "Breaking
Bad", die man wohl nicht mehr vergessen wird, sind die beiden
mexikanischen Cousins aus Staffel 3, die über die Grenze kommen und Jagd
auf Walter White machen. Die Drehbuchautoren haben sich viel Mühe
gegeben, die Geschichte dieser beiden ebenso haar- wie skrupellosen
Killer auszugestalten. Das Blog Press
Play hat die Szenen mit den beiden Cousins nun zusammengeschnitten
und in die chronologische Reihenfolge gebracht. Das Ergebnis ist ein
rund dreiviertelstündiges Video, das die Geschehnisse in "Breaking Bad"
aus einer komplett anderen Perspektive zeigt. Anschließend hat Press
Play die Filmkritikerin Sheila O'Malley gebeten, ihre Eindrücke von
diesem Film zu schildern – sie hatte zuvor noch nicht eine einzige
Minute der Serie gesehen. Das Ergebnis findet sich hier.
Meine TV-Kritik zu "Breaking Bad" erreichen Sie hier,
unter diesem
Link stehen zudem zwei Videos, die die hervorragende Kameraarbeit in
der Serie dokumentieren.
Geschrieben am Sonntag 18 November 2012 um 18:31 von Roland Freist
Sechs Stories
"Cloud Atlas" – allein schon der Titel lässt einen schwere,
intellektuelle Kost vermuten. Dazu kam das Marketing im Vorfeld: Der
überlange erste Trailer, das Gerede von dem "unverfilmbaren" Roman, der
als Basis diente ("Der Wolkenatlas" von David Mitchell), die Wachowskis,
die sich zu "Matrix"-Zeiten
weigerten, auch nur mit einem Journalisten zu sprechen, und dazu noch
Tom Tykwer, der trotz Ausflügen ins Action-Genre ("The
International") wie nahezu alle deutschen Regisseure
tendenziell als Spaßbremse gilt. Als dann noch verbreitet wurde, dass
der Film eine Botschaft habe und die Schauspieler in mehreren Rollen zu
sehen sein würden, war es schon beinahe endgültig aus. Fast hätte ich
mir stattdessen "Dredd"
angeschaut (der im Übrigen gar nicht schlecht sein soll).
Aber das wäre ein Fehler gewesen. Denn "Cloud Atlas" ist ein
ausgezeichneter Film, der weniger verkopft ist, als man vielleicht
meinen könnte, und viel Spaß hat am Erzählen von Geschichten. Insgesamt
sechs sind es, die kunstvoll ineinander verwoben sind:
- Im Jahr 1849 reist ein Notar (Jim Sturgess) von einer Südseeinsel mit
dem Schiff zurück in seine Heimatstadt San Francisco. Während der Fahrt
freundet er sich mit einem farbigen Sklaven (David Gyasi) an. Der rettet
ihm später das Leben, der Notar verhilft ihm dafür zur Freiheit.
- Im Belgien des Jahres 1931 nimmt ein junger, schwuler Nachwuchsmusiker
(Ben Whishaw) den Job eines Gehilfen bei einem älteren, berühmten
Komponisten (Jim Broadbent) an. Als er eine eigene, geniale Symphonie
mit dem Titel "Cloud Atlas" schreibt, versucht sein Arbeitgeber, ihn zu
erpressen und das Stück als eigenes Werk auszugeben.
- Anfang der 70er Jahre stößt eine Journalistin (Halle Berry) bei einem
großen Ölkonzern auf einen Umweltskandal. Der Chef der Firma (Hugh
Grant) will sie daraufhin aus dem Weg räumen lassen.
- Ein älterer britischer Verleger (wieder Jim Broadbent) wird in der
Jetztzeit von seiner Familie in ein geschlossenes Altenheim abgeschoben
und entwirft dort mit einigen anderen Heiminsassen einen Fluchtplan.
- Im 22. Jahrhundert wird in New Seoul eine genetisch entworfene
Kellnerin (Doona Bae) vom Mitglied einer Widerstandsgruppe befreit und
verliebt sich in ihn.
- Im Jahr 2346 sind große Teile der Erde unbewohnbar. Da bekommt ein
Stamm auf einer Insel im Südpazifik Besuch von einer Frau (Halle Berry)
aus einer technisch fortgeschrittenen Kultur. Obwohl es düstere Mythen
über diesen Ort gibt, erklärt sich ein Ziegenhirte (Tom Hanks) bereit,
sie zum Gipfel eines nahegelegenen Berges zu führen, wo sie eine
aufgegebene Funkstation finden.
Alle diese Geschichten sind toll bebildert, spannend erzählt und
teilweise sogar sehr witzig. Damit die Spannung während der rund drei
Stunden Laufzeit nicht nachlässt, wechseln die Regisseure zwischen den
verschiedenen Erzählsträngen ständig hin und her, und zwar am liebsten
dann, wenn das Geschehen einen dramatischen Höhepunkt erreicht. Der
gute, alte Cliffhanger, er lebt. Dank dieser Technik vereint "Cloud
Atlas" so unterschiedliche Genres wie Science Fiction, Abenteuerfilm und
Umweltdrama à la "China-Syndrom"
und passt dabei konsequent Stimmung, Kameraeinstellungen und Farbskala
entsprechend an. Er führt die Zuschauer in futuristische
Stadtlandschaften, subtropische Dschungel, britische Pubs, auf alte
Segelschiffe und ins San Francisco der 70er Jahre. Es wird geschossen,
mit Musketen, Revolvern und Laserpistolen, es gibt riesige, nächtliche
Explosionen und Kämpfe mit Messern und Fäusten, daneben aber auch
Gespräche über Musik, das Älterwerden und die Freiheit.
Und worum geht’s? In den Kritiken las und hörte man häufig, "Cloud
Atlas" wolle wie das Buch zeigen, wie alles miteinander zusammenhängt.
Im Film geschieht das vor allem mithilfe von Zitaten: Die Halle Berry
der 70er Jahre etwa kommt in einen Plattenladen, in dem der Besitzer
(Ben Whishaw) gerade die Cloud-Atlas-Symphonie spielt. Oder in New Seoul
läuft in einer Szene ein Fernsehfilm, der auf den Geschehnissen rund um
die Flucht von Jim Broadbent aus dem Altersheim basiert. Als Beweis für
unsichtbare Verbindungen zwischen den Personen und Zeitaltern ist das
jedoch zu wenig. Das Gleiche gilt für die unterschiedlichen Rollen, in
die die Hauptdarsteller auf den verschiedenen Zeitebenen schlüpfen,
wobei sie teilweise sogar das Geschlecht und die Hautfarbe ändern.
Lediglich Hugo Weaving (der Agent Smith aus "Matrix") bleibt seiner
Rolle weitgehend treu, denn er muss in allen sechs Stories den Bösen
spielen.
Aber man kann "Cloud Atlas" auch ohne diesen philosophischen Überbau
sehen. Je länger der Film dauert, desto mehr Parallelen zeigen sich
zwischen den Geschichten, und es treten einige Grundmotive hervor. Alle
sechs Erzählstränge zeigen auf die eine oder andere Weise Unterdrückung
und wie Menschen sich mithilfe von geliebten (oder in sie verliebten)
Personen daraus befreien. "Cloud Atlas" ist ein optimistischer Film. Und
es ist vor allem ein sehr unterhaltsamer Film, mit guten Darstellern,
schnellem Erzählrhythmus, professionellen Effekten und nicht zuletzt
sechs interessanten Geschichten.
Geschrieben am Donnerstag 15 November 2012 um 17:39 von Roland Freist
In "Skyfall",
dem neuen James Bond (meine Kritik finden Sie hier),
zeigt Regisseur Sam Mendes viel Respekt für die 50jährige Geschichte der
Filmreihe. Deutlich wird das bereits bei der Titelsequenz: Begleitet von
Adeles großartigem Titelsong lässt Designer Daniel
Kleinman die Farbeffekte aus den 60er und 70er Jahren
wiederauferstehen. Gleichzeitig zitiert er einige berühmte Szenen aus
den alten Filmen und baut unter anderem das Spiegelkabinett aus "Der
Mann mit dem goldenen Colt" in die Sequenz ein.
Viel Geschichtsbewusstsein beweist auch der Youtube-Nutzer "James Bond":
Er hat aus allen 22 Vorgängerfilmen jeweils fünf Minuten zu einem rund
zweistündigen Mega-Bond zusammengeschnitten. Es geht los mit den ersten
fünf Minuten aus "James
Bond 007 jagt Dr. No" und endet mit den letzten fünf Minuten
von "Ein
Quantum Trost".
Geschrieben am Dienstag 13 November 2012 um 16:50 von Roland Freist
Hollywood in Teheran
Es gibt eine Stelle in diesem Film, an der es sinngemäß heißt: Dieser
Plan wird funktionieren, weil die ganze Welt diese Typen aus Hollywood
für verrückt genug hält, so etwas tatsächlich durchzuziehen. Nämlich
einen Film zu drehen in einem Land, das mit den USA gerade einen
schweren politischen Konflikt ausfechtet und das nach der Erstürmung der
amerikanischen Botschaft Dutzende von Geiseln genommen hat. Aber selbst
im Iran, und um den geht es hier, weiß jedermann, dass Hollywood cool
genug ist, sich um solche Nebensächlichkeiten nicht groß zu scheren.
"Argo" erzählt eine Geschichte aus dem Jahr 1979/80. Nachdem die
konservative Revolution von Ayatollah Chomeini gesiegt hatte, war Schah
Mohammad Reza Pahlavi in die USA geflohen. Die wütende Bevölkerung im
Iran forderte seine Auslieferung, was der amerikanische Präsident Jimmy
Carter verweigerte. Schließlich kam es zur Erstürmung der Botschaft in
Teheran. Während der Großteil der Botschaftsangehörigen gefangengenommen
wurde und mehr als ein Jahr als Geiseln ausharren musste, konnten sechs
von ihnen unbemerkt fliehen. Der kanadische Botschafter Ken Taylor
(Victor Garber) gewährte den Amerikanern Unterschlupf in seinem Haus,
aber niemand wusste, wie man sie außer Landes bringen sollte.
Da kam der CIA-Agent Tony Mendez (Ben Affleck) auf eine Idee: Er würde
die versteckten Amerikaner als Teil eines kanadischen Filmteams auf der
Suche nach Drehorten ausgeben. Damit diese Tarnung auch weitergehenden
Recherchen der Iraner standhalten könnte, gründete er zuvor in Hollywood
zusammen mit dem Maskenbildner John Chambers (John Goodman) und dem
Produzenten Lester Siegel (Alan Arkin) eine Produktionsgesellschaft. Mit
dem Geld der CIA kaufte er das Drehbuch zu einem billigen
Science-Fiction-Thriller namens "Argo", mietete Räume an, ließ
Storyboards zeichnen, eine aufwendige Pressekonferenz abhalten und
Anzeigen im Branchenblatt Variety schalten. Und so unwahrscheinlich es
klingt: Es funktionierte. Die iranische Kulturbehörde kaufte ihnen die
Geschichte ab, und schließlich konnte Mendez mithilfe gefälschter
kanadischer Pässe zusammen mit seinen Landsleuten unbehelligt ausreisen.
Der Film basiert auf einer wahren Geschichte, die Joshuah Bearman 2007
unter dem Titel "How
the CIA Used a Fake Sci-Fi Flick to Rescue Americans From Tehran"
in der amerikanischen Wired veröffentlicht hat. Regisseur und
Hauptdarsteller Ben Affleck hat daraus einen spannenden Abenteuerfilm
gemacht. Obwohl es natürlich in erster Linie um Politik geht, hat er
darauf verzichtet, einen Politthriller zu drehen. Lediglich am Anfang
wird auf Basis einiger alter Fernsehbilder die Vorgeschichte des
Konflikts erläutert, danach geht es nur noch um die Täuschungsaktion.
Viele Details im Umfeld der Geiselnahme lässt Affleck einfach weg,
beispielsweise die gescheiterte Operation
Eagle Claw, mit der die Gefangenen in einem militärischen Einsatz
befreit werden sollten. Stattdessen konzentriert er sich völlig auf die
sechs Personen im Haus des kanadischen Botschafters sowie auf die
schwierige Vorbereitung der Aktion bei der CIA und in Hollywood.
Das Geschehen wurde an einigen Stellen dramatisiert, etwa der Aufruhr im
Basar von Teheran, als die vermeintlichen Filmleute Fotos von der
Location machen wollen, oder auch die in letzter Sekunde verhinderte
Identifizierung der Gruppe am Flughafen. Einige der besten Szenen
spielen jedoch in Hollywood, Goodman und Arkin führen hier voller Wonne
den ganzen Sarkasmus und den Slang der Filmbranche vor.
In "Argo" feiert Hollywood sich selbst. Die Filmbranche wird so gezeigt,
wie sie sich selbst am liebsten sieht: Als eine Gruppe von zynischen
Geschäftemachern, die jedoch im Krisenfall für ihr Land wirklich alles
tun würden. Ein wenig erinnert das an "Wag
the Dog" und den dort von Dustin Hoffman gespielten
Filmproduzenten. Ein ähnlicher Erfolg könnte auch "Argo" werden, denn
der Film ist ungemein spannend, witzig und hervorragend inszeniert. Mein
Tipp: Regie-Oscar für Ben Affleck.
Geschrieben am Donnerstag 08 November 2012 um 14:33 von Roland Freist
Der jüdische Exorzist
Kinder lieben Kisten. Sie lieben sie, weil sie darin ihre geheimen
Erinnerungsstücke aufbewahren oder, in den größeren Versionen, sich
selbst ein Versteck bauen können, eine Zuflucht, die nur ihnen gehört.
Insofern ist es kein Wunder, dass die vielleicht zehnjährige Emily
(Natasha Calis) die dunkelbraune Holzkiste, die sie auf einem Flohmarkt
findet, unbedingt haben will. Sie ist mit einer hebräischen Inschrift
versehen und mit einem verborgenen Mechanismus fest verschlossen. Im
Kontext eines Horrorfilms wäre es also ratsam, den Kasten lieber
verschlossen und bei seinem Vorbesitzer zu lassen. Geschieht aber
natürlich nicht.
Emily lebt zusammen mit ihrer älteren Schwester Hannah (Madison
Davenport) abwechselnd bei ihrer Mutter Stephanie (Kyra "The
Closer" Sedgwick) und ihrem Vater Clyde (Jeffrey Dean Morgan),
die Eltern sind seit etwa einem Jahr geschieden. Nachdem sie endlich
herausgefunden hat, wie die Kiste zu öffnen ist, findet sie darin einige
Blechgefäße gefüllt mit seltsamen Artefakten, ein überdimensionaler
Backenzahn ist ebenso dabei wie eine große Motte aus Metall und ein
altertümlicher Ring, den sie von fortan ständig trägt. Kurz darauf wird
sie verhaltensauffällig, wird aggressiv und zum Ausgangspunkt für die
ersten übernatürlichen Ereignisse, bei denen vor allem Motten eine große
Rolle spielen. Nachdem ihr Vater die Holzkiste als die Ursache erkannt
hat, schleppt er sie zu einem jüdischen Gelehrten. Der übersetzt die
hebräische Inschrift und erklärt ihm, dass in der Kiste ein Dibbuk
eingesperrt gewesen sei, ein Geist aus der jüdischen Mythologie, der in
die Körper von Lebenden fahre und sie zugrunde richte. Zum Abschied gibt
ihm der Professor die Adresse eines jüdischen Exorzisten, der den Dibbuk
aus dem Körper von Emily vielleicht wieder heraustreiben könne.
"Possession" ist eine modernisierte und ins jüdische Milieu übertragene
Version von "Der
Exorzist", dem vielleicht besten Horrorfilm aller Zeiten.
Wieder ist es eine Tochter aus dem gehobenen Mittelstand, in die der
Dämon fährt, wieder zeigt das Mädchen ein zunehmend feindseliges
Verhalten, und es gibt erneut den Versuch, dem Rätsel mithilfe eines
Computer-Tomografen auf die Spur zu kommen – was dieses Mal sogar
gelingt. Die Verbildlichung des Grauens ist jedoch eine der schwächsten
Szenen des Films und wirkt unfreiwillig komisch. Und es gibt natürlich
wieder einen Geistlichen, der den Kampf mit dem Bösen aufnimmt. Man
erfährt jedoch nur wenig über ihn, über sein Leben und seine Motivation.
Anders als der junge Priester aus dem "Exorzist" bleibt er als Figur
sehr blass.
Der Film enthält einige schöne Huch-Momente, also Szenen, in denen Musik
und Kameraführung das Unheil ankündigen, das dann blitzschnell
zuschlägt. Regisseur Ole Bornedal zitiert zudem in einer feinen Sequenz
seinen bekanntesten Film bislang, den Leichenhallen-Horror "Nachtwache".
In Deutschland wurde "Possession" zum ersten Mal im Rahmen des Fantasy
Filmfests gezeigt. Am Ende der Vorstellung äußerten sich die hinteren
Reihen mit lauten Gähngeräuschen – für abgebrühte Fantasy-Freunde hält
der Film tatsächlich nicht viel Neues bereit. Doch wer einfach mal
wieder einen handwerklich sauberen Gruselfilm sehen will, ist mit diesem
hier nicht schlecht bedient.
Geschrieben am Sonntag 04 November 2012 um 18:42 von Roland Freist
James Bond feiert Auferstehung
Die erste Einstellung zeigt eine verschwommene Silhouette, einen Mann,
verborgen hinter einer Milchglasscheibe. Die Tür geht auf, er kommt
näher, und man erkennt die markanten Züge von Daniel Craig alias Bond,
James Bond, und irgendwie weiß man schon an dieser Stelle: Jetzt wird
alles wieder gut.
James-Bond-Filme bildeten einst ein eigenes Genre. Sie hatten die
üblichen Agententhriller hinter sich gelassen und eine eigene Welt
erschaffen. Die Bösen in dieser Welt waren abgefeimter und raffinierter
als in anderen Filmen, und sie waren unendlich reich, so reich, dass sie
sich riesige Luxusvillen, Yachten, Schlösser und nicht zuletzt die
teuren Gadgets leisten konnten, die sie für ihre genialen Pläne
benötigten, bei denen es immer darum ging, noch mehr Macht und Geld zu
bekommen. Außerdem besaßen sie futuristische Kommandozentralen in
Vulkankratern oder unter Wasser, riesige Komplexe, gestaltet von dem
genialen Ken Adam.
Ihnen gegenüber stand die kleine Welt des britischen Geheimdiensts mit M
an der Spitze, einem eher konservativen britischen Gentleman, der sich
ständigen Beschwerden des Premierministers ausgesetzt sah. In seinem
Vorzimmer saß die wunderbare Miss Moneypenny, die die Liebesabenteuer
von Agent 007 mit einer Mischung aus Ironie und schmachtender Sehnsucht
kommentierte. Ein weiteres unverzichtbares Mitglied des Bond-Kosmos war
zudem Q, der ebenso geniale wie skurrile Entwicklungschef des MI6, der
Bond stets griesgrämig in die neue Ausrüstung einwies. Und natürlich
James Bond selbst, der Meister aller Sportarten, der König der Casinos,
der Mann, der alles steuern konnte, was einen Motor hatte, für den
Frauen in erster Linie schöne, zu erobernde Spielzeuge waren, weshalb
die weiblichen Hauptdarsteller der Filme in den Rezensionen auch
regelmäßig als "Bond-Girls" bezeichnet wurden.
Und dann kam "Casino
Royale". Plötzlich gab es keinen Q mehr und keine Miss
Moneypenny. Die Rolle von M hatte bereits zuvor Judi Dench übernommen,
die die Geheimdienst-Chefin als kalte Technokratin spielte. Der durch
einen Revolverlauf gefilmte Schuss in den Zuschauerraum, das Gun Barrel
Image, von den Fans geliebter, unentbehrlicher Bestandteil jedes
Bond-Vorspanns, war einfach gestrichen worden. Auf einmal ging es auch
nicht mehr um die Rettung des Golds der Vereinigten Staaten vor der
radioaktiven Verstrahlung, nicht mehr um Milliarden von Dollar und die
Weltherrschaft, sondern um eine Summe von geradezu lächerlichen 115
Millionen. Der alte James Bond hätte dafür nicht einmal seine Golfrunde
unterbrochen. Und auch Bond selbst hatte sich verändert, war weicher
geworden, beinahe schon ein Metrosexueller. Er führte
Beziehungsgespräche mit seinem Bond-Girl, was bei einem Sean Connery
oder Roger Moore einigermaßen bizarr gewirkt hätte. Im Bestreben, die
Serie zu renovieren und an die modernen Zeiten anzupassen, hatten die
Macher, darunter der neue Drehbuchautor Paul Haggis ("Im
Tal von Elah", "Million
Dollar Baby"), den Bond-Filmen viel von ihrem speziellen Charme
geraubt. Der folgende Film, "Ein
Quantum Trost", war denn auch nicht nur wegen des idiotischen
deutschen Titels einer der Tiefpunkte in der Bond-Geschichte, ein
weitgehend beliebiger Actionfilm mit verworrener Handlung.
Womit wir endlich bei "Skyfall" wären. Es ist der reflektierteste Bond
aller Zeiten und, trotz der Kopflastigkeit, einer der besten. Regisseur
Sam Mendes, Oscar-Gewinner für "American
Beauty", räumt auf und zeigt, wie ein moderner Bond-Film
aussehen kann. Er macht aus "Skyfall" wieder einen echten Bond, mit
allem was dazugehört: Miss Moneypenny, Q und das Gun Barrel Image
tauchen wieder auf, und James Bond findet in einigen Szenen endlich
wieder zu seiner alten Ironie zurück. Der machomäßige Umgang mit Frauen,
bis in die 80er Jahre eine der hervorstechendsten Eigenschaften jedes
Bond-Darstellers, ist natürlich passé, genauso wie die Reduzierung der
Frauen auf schöne Gespielinnen. Doch alles andere ist, auf einem höheren
Niveau, wieder an seinem Platz.
Interessant ist, wie nicht nur der Film in seinem Verlauf immer mehr zu
einem klassischen Bond wird, sondern auch die Figur des James Bond
selbst. Zu Anfang ist er in einem desolaten Zustand, körperlich am Ende,
mit zitternden Händen, ein starker Trinker, der von seinen Vorgesetzten
belogen und geopfert wird. Aber in der letzten Einstellung steht da
wieder ein Mann, frisch, ausgeruht, dem sein Job offensichtlich Spaß
macht, und der bereits einige Zeit zuvor auf die Frage nach seinem Hobby
mit "Auferstehung" geantwortet hatte, was man in diesem Fall auch auf
den gesamten Film übertragen kann.
Über die Handlung ist in den vergangenen Wochen schon viel geschrieben
worden, daher nur so viel: Es geht um eine Festplatte mit Agenten-Namen,
während einer wilden Verfolgungsjagd durch Istanbul gestohlen von einem
Angestellten des psychopathischen Ex-MI6-Agenten und Computer-Nerds
Silva. Er wird gespielt von Jarvier Bardem ("No
Country for Old Men", "Vicky
Cristina Barcelona"), und der macht aus der Rolle eine der
besten Schurken-Darstellungen der Bond-Geschichte überhaupt. Als
Hauptquartier hat er sich eine kleine Insel vor dem chinesischen
Festland geschnappt, bebaut mit verfallenden Fabrikgebäuden. Das Finale
findet dann jedoch in London und den schottischen Highlands statt, wobei
auch der legendäre Aston Martin DB5 mit den eingebauten
Maschinengewehren noch einmal zum Einsatz kommt.
"Skyfall" ist mit Abstand der bislang beste Bond-Film mit Daniel Craig
und einer der besten Vertreter der Serie überhaupt. Sam Mendes zeigt,
was ein guter Regisseur aus dem Stoff herausholen kann, und baut aus den
Trümmern, die die beiden Vorgänger hinterlassen haben, mit Liebe zum
Detail und viel Bewusstsein für die lange Tradition einen echten
Genrefilm zusammen, der trotzdem wieder ganz auf der Höhe der Zeit ist.
"Skyfall" hat keine erkennbaren Schwächen, ist intelligent, spannend und
erzählt eine gute Geschichte. Volle Punktzahl.
Ein Video mit der Titelsequenz von "Skyfall", die sich erkennbar an die
Vorbilder aus den 60er und 70er Jahren anlehnt, finden Sie hier.