Szenen einer Ehe
Man merkt, dass die Oscar-Saison beginnt. Jetzt kommen die Filme in die
Kinos, die sich Hoffnungen auf einen Academy Award machen können. Es
geht los mit dem neuen Werk von David Fincher, der mit "Gone Girl" einen
spannenden und trickreichen Thriller rund um eine amerikanische
Mittelschicht-Ehe vorlegt.
Normalerweise würde ich an dieser Stelle zumindest die wichtigsten
Handlungsstränge skizzieren. Doch in diesem Fall geht das nicht, da der
Film viel von seinem Reiz aus den abrupten und überraschenden Wendungen
der Story bezieht. Lediglich die Ausgangssituation lässt sich schildern,
ohne dass Spoiler-Alarm ausgelöst wird.
Nick (Ben Affleck) und Amy Dunne (Rosamund Pike, "Surrogates")
sind frisch verheiratet. Sie sind Autoren und leben in New York. Er
schreibt für eine Zeitschrift, sie hat eine populäre Serie von Büchern
über ein Mädchen mit dem Namen "Amazing Amy" verfasst. Sie sind beide
schön, intelligent, erfolgreich und scheinen perfekt zueinander zu
passen, der Sex ist atemberaubend. Als er während der Wirtschaftskrise
seinen Job verliert und ihnen das Geld ausgeht, ziehen sie nach
Missouri, in den kleinen Ort, wo Nick aufgewachsen ist. Dort beginnt es
in der Ehe schon bald zu kriseln.
Bis zu diesem Punkt wird die Story wechselweise von beiden Hauptpersonen
erzählt. Amy arbeitet ihre gemeinsame Geschichte auf, während sie
Tagebuch schreibt, Nick dagegen ist der eigentliche Protagonist, dessen
Sicht auf die Dinge die Kamera zeigt.
An ihrem fünften Hochzeitstag geht Nick vormittags in die Bar, die er
zusammen mit seiner Schwester Margo (Carrie Coon) führt. Er ist
frustriert, trinkt einen Bourbon, beklagt sich über seine Ehe. Als er
heimkommt, ist das Haus leer. Der gläserne Couchtisch liegt in Scherben
auf dem Boden, von Amy keine Spur. Er ruft die Polizei, die schon bald
Blutspuren entdeckt. Doch eine Leiche wird nicht gefunden, Nicks Frau
ist einfach weg. Schon bald schalten sich die Medien ein, vornehmlich
das Fernsehen, und beginnen das mysteriöse Verschwinden der Frau und
Nicks Rolle dabei zu diskutieren. Die Gechehnisse beginnen dadurch eine
Eigendynamik zu entwickeln.
An diesem Punkt glaubt man als Zuschauer zu wissen, in welche Richtung
die Geschichte laufen wird. Doch weit gefehlt. Fincher manipuliert die
Zuschauer, führt sie mit Bildern, immer neuen Details und der gesamten
Stimmung in die falsche Richtung. Der Film lügt nicht, alles was gezeigt
wird, entspricht der Realität. Doch er sorgt dafür, dass die ersten
Erklärungen, die man sich im Kino zurechtlegt, komplett in die falsche
Richtung gehen. Und wenn man schließlich glaubt, der Fall sei gelöst,
folgt doch noch eine Wendung, und dann noch eine.
Diese Achterbahnfahrt macht natürlich Spaß, vor allem, da "Gone Girl"
mit zunehmender Dauer immer mehr Fahrt aufnimmt, ohne allerdings auf das
rasante Tempo eines Actionfilms zu beschleunigen. Auf der anderen Seite
wird einem beim Verlassen des Kinos im Nachhinein klar, dass sich die
Geschichte nur deshalb so entwickeln konnte, da eine der Hauptfiguren
psychopathisch ist und nicht rational handelt. Und das ist dann schon
etwas ärgerlich, da es einem wie Betrug vorkommt.
Doch es gibt eine gute Entschuldigung. Denn im letzten Akt wird
endgültig deutlich, dass es David Fincher nicht um die Geschichte einer
Beziehung geht. Er entwirft stattdessen ein Bild von der Ehe an sich,
und das ist so atemberaubend zynisch, wie man es seit dem "Rosenkrieg"
von Michael Douglas und Kathleen Turner nicht mehr gesehen hat. Mit dem
Unterschied allerdings, dass Fincher keine Komödie gedreht hat. "Gone
Girl" ist blutiger, teilweise sogar sehr blutiger Ernst.
Unter den Schauspielern sticht vor allem Rosamund Pike heraus. Sie hat
ein schönes, interessantes Gesicht und zeigt hier, wie man mit wenig
Mimik und einem kleinen Blick ganze Gedankengänge vermitteln kann. Auch
die bislang nur wenig bekannte Carrie Coon kann überzeugen, und zwar
gerade deshalb, weil sie sich in ihrer Rolle als Nicks nüchtern
denkende, leicht sarkastische Schwester stark zurückhält. Ben Affleck
dagegen hat schon bessere Performances abgeliefert.
Der erste Akt von "Gone Girl" wirkt recht herkömmlich und ist nicht
sonderlich spannend. Ich hatte schon die Befürchtung, dass David Fincher
ein bereits mehrfach gesehenes Schema nur leicht abgewandelt und erneut
auf die Leinwand gebracht hat. Doch am Schluss saß ich grinsend im Kino
und hätte bei einigen Twists und schrägen Details am liebsten
applaudiert.
"Gone
Girl" in der IMDB
Der deutsche Trailer: