« Juni 2016 | Startseite | August 2016 »

Archiv vom Juli 2016

Filmkritik: "Legend of Tarzan"

Geschrieben am Sonntag 31 Juli 2016 um 17:48 von Roland Freist

Tarzan lässt die Muskeln spielen

Die Geschichte von Tarzan, der im Dschungel von den Affen aufgezogen und zum Anführer der Tiere wurde, wurde bereits so oft verfilmt, dass sie heute fester Teil der Populärkultur ist. Jeder kennt die Figur, hat einen oder sogar mehrere Filme oder auch die Fernsehserie mit Ron Ely aus den 60er Jahren gesehen. Und die meisten kennen auch die Parodien, die Witze mit "Ich Tarzan, du Jane" und dem berühmten Schrei. Vor diesem Hintergrund ist es schwierig, einen guten, modernen Tarzan-Film zu drehen. Regisseur David Yates jedenfalls, der zuvor für die vier letzten Harry-Potter-Filme verantwortlich zeichnete, ist mit "Legend of Tarzan" an dieser Aufgabe gescheitert.

Dabei hat er durchaus versucht, der Geschichte noch einmal einen neuen Dreh zu geben. Anders als der Titel es ankündigt, erzählt der Film keine Legende, sondern schildert recht konkret die Situation am Ende des 19. Jahrhunderts, als sich der belgische König Leopold II. den Kongo als Privatbesitz einverleibt hatte, in der Folge jedoch mit dem Aufbau einer funktionierenden Infrastruktur finanziell völlig überfordert war. Daraus entwickelt David Yates die Story des von Christoph Waltz gespielten Captain Rom, der im Auftrag von Leopold einen sagenumwobenen Diamantenschatz bergen soll, mit dem der König seine Schulden bezahlen will. Dieser Schatz befindet sich auf dem Gebiet eines kriegerischen Stammes, dessen Häuptling zwar durchaus bereit ist, die Diamanten zu übergeben, im Austausch dafür jedoch die Auslieferung von Tarzan alias Lord Greystoke alias John Clayton (Alexander Skarsgård) verlangt. Wie wir später erfahren, hat Tarzan einst seinen Bruder getötet. Der König des Dschungels wohnt mittlerweile allerdings mit seiner Jane (Margot Robbie) in London, leidet dort allerdings an Heimweh. Begleitet von George Washington Williams (Samuel L. Jackson), einem Gesandten des amerikanischen Präsidenten, ziehen er und Jane wieder zurück nach Afrika.

Spätestens ab der Ankunft im Kongo changiert der Film fast nur noch zwischen unfreiwillig komischen Szenen und purem Kitsch. Wenn das Trio bereits kurz nach der Ankunft im Kongo irgendwo in der Steppe auf ein befreundetes Löwenweibchen stößt und Tarzan zur Begrüßung seinen Kopf an dem der Anführerin reibt, weil Löwen das so machen, wie Jane erklärt, dann wirkt das in erster Linie komisch. Kurz tauchte bei mir die Überlegung auf, wie die Szene wohl mit einem männlichen Löwen und seiner Mähne ausgesehen hätte, aber da ging es dann auch schon weiter. Tarzan aber hat diese Form der Begrüßung ganz offensichtlich seit seiner Jugend verinnerlicht, denn später reibt er sich auf die gleiche Art und Weise auch an menschlichen Bekannten, die er längere Zeit nicht gesehen hat.

Von Kitsch erfüllt sind vor allem die Bilder, die den Dschungelkönig Tarzan zusammen mit seiner Jane zeigen. Alexander Skarsgård wurde natürlich nicht von ungefähr als Hauptdarsteller ausgewählt, denn mit seinen langen Haaren, den Muskeln und dem Waschbrettbauch sieht er aus wie ein Posterboy für pubertierende Mädchen. Margot Robbie, bekannt geworden vor allem durch ihren Auftritt in "The Wolf of Wall Street", gibt neben ihm zwar eine gute Jane Clayton ab. Doch beide sind einfach zu schöne Menschen, um glaubhaft als ehemalige Bewohner eines gefährlichen Urwalds durchzugehen. Zudem zeigt sich, dass Skarsgård, der in "True Blood" noch sehr überzeugend einen Vampir verkörpert hatte, als Darsteller dann doch nicht gut genug ist, um gegen sein Model-Image anzuspielen. Ganz im Gegensatz zu Leonardo DiCaprio übrigens.

Christoph Waltz dagegen erledigt seine Aufgabe als Oberschurke ruhig und routiniert. Kein Wunder, denn vergleichbare Charaktere hat er in den vergangenen Jahren schon mehrmals gespielt. Am besten gefallen hat mir jedoch Samuel L. Jackson, der über weite Strecken so aussieht, als würde er sich innerlich amüsieren, dass er für so einen Film auch noch einen ganzen Haufen Geld bekommt.

"Legend of Tarzan" wird in den meisten Kinos in 3D gezeigt. Das hat in diesem Fall erkennbar nur den einzigen Zweck, den Kinobetreibern einen Aufschlag auf den normalen Ticketpreis zu ermöglichen. Es gibt eine Szene, in der ein Strauß frontal von vorn aufgenommen vermeintlich in den Kinosaal pickt. Sie dient vermutlich dazu, den Zuschauern das Gefühl zu geben, dass der 3D-Aufschlag nicht ganz umsonst gewesen ist.

Die meisten, vielleicht sogar alle Tieraufnahmen, wurden am Computer generiert. Viele davon wirken wenig überzeugend und wie aus einem Comic übernommen, das gilt vor allem für die Aufnahmen von Tarzans Gorilla-Familie und einer Büffel-Stampede. Die Neuverfilmung des "Jungle Book" hat das vor einigen Monaten deutlich besser gemacht.

"Legend of Tarzan" zeigt einige gute Ansätze wie etwa die Einbeziehung des historischen Hintergrunds und die Darstellung der schwarzen Bevölkerung, die als intelligent und hilfsbereit geschildert wird. Doch kann das die zahlreichen Schwächen nicht verdecken.

"Legend of Tarzan" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Sonntag 31 Juli 2016 18:28

Filmkritik: "Star Trek: Beyond"

Geschrieben am Freitag 22 Juli 2016 um 23:23 von Roland Freist

Raumschiffe im Nebel

Die Serie "Raumschiff Enterprise", wie "Star Trek" hierzulande damals noch hieß, lief ab 1972 im ZDF, immer Samstagabend parallel zur "Sportschau" in der ARD. Wer damals sagen wir mal zwölf, dreizehn Jahre alt war und einen Sinn für Science-Fiction hatte, für den war diese Serie wie ein phantastischer Traum. Die Bilder der fremden Welten, die immer neuen Alien-Rassen, das riesige Raumschiff mit all der futuristischen Technik und nicht zuletzt natürlich die Multikulti-Besatzung der "Enterprise" mit ihren so unterschiedlichen Charakteren ließen einen als Jugendlichen nur noch staunen. Doch genauso wie die Serie, sieht man sie sich heute wieder an, deutlich gealtert ist, sind auch die Zuschauer von damals in die Jahre gekommen. Nur eine Minderheit von ihnen wird ab und zu noch ins Kino gehen, und wenn, dann vermutlich nicht in "Star Trek: Beyond", sondern eher in "Toni Erdmann".

Das ist der Grund, warum der Film das geworden ist, was er nun einmal ist: ein actionlastiger Science-Fiction mit knalligen Special Effects, guten und bösen Aliens, einem geheimnisvollen Artefakt, wild um sich schießenden Raumschiffen und einigen wirklich guten Gags. Regisseur Justin Lin, der bereits der "Fast & Furious"-Reihe neues Leben eingehaucht hatte, wirbt nicht um die erste Generation der "Star Trek"-Fans, sondern steigt in die Konkurrenz um den großen Sommer-Blockbuster des Jahres ein. Hier geht es nicht darum, nostalgische Sehnsüchte zu befriedigen. Stattdessen tritt "Star Trek: Beyond" gegen Titel wie "Independence Day: Wiederkehr", "Ghostbusters", "Legend of Tarzan" oder den neuen Jason Bourne an. Gegen sie muss er sich an der Kinokasse durchsetzen, und das kann nur dann gelingen, wenn er die Jugendlichen anzieht. Und die erwarten ein modernes Science-Fiction-Abenteuer auf dem letzten Stand der Technik, kein sentimentales Retrostück.

Die Story: Die Enterprise wird um Hilfe bei einer Rettungsaktion gebeten. Das Raumschiff einer fremden Rasse ist auf einem Planeten innerhalb eines unerforschten Nebels gestrandet, der von Funkwellen nicht durchdrungen werden kann. Doch die Bitte um Hilfe stellt sich als eine Falle heraus. Kaum haben sie den Nebel durchquert, werden Kirk & Co. angegriffen. Die Enterprise wird zerstört, der größte Teil der Besatzung als Geiseln genommen. Lediglich die Offiziers-Crew kann entkommen und bereitet mithilfe der Alien-Frau Jaylah (Sofia Boutella) eine Befreiungsaktion vor. Erst zum Schluss stellt sich heraus, wer tatsächlich hinter der Aktion steckt und was ihn zu dem Überfall getrieben hat.

Das Tempo, mit dem diese Geschichte erzählt wird, ist hoch, sehr hoch sogar. Justin Lin nimmt sogar einige Sprünge in der Handlung in Kauf, um ja nicht abbremsen zu müssen. Aber auch die Szenen an Bord der abstürzenden Enterprise und das Finale in einer riesigen, kugelförmigen Weltraumstadt filmt er in atemberaubender Geschwindigkeit. Die Kamera rast durch die Gänge und Räume, über Brücken und Träger und quer durch den Raum, sie wackelt und dreht sich, springt von einem Protagonisten zum nächsten, so dass man immer wieder die Orientierung verliert und nicht mehr nachvollziehen kann, was da eigentlich gerade geschieht.

Verstärkt wird die Verwirrung noch dadurch, dass dies eine der schlechtesten 3D-Umsetzungen aller Actionfilme der letzten Jahre ist. Was Lin und das Studio eigentlich wissen sollten, ist, dass die 3D-Brillen getönte Gläser haben, die das Bild auf der Leinwand etwa zehn Prozent dunkler erscheinen lassen. Viele 3D-Streifen werden daher etwas aufgehellt, um den Effekt auszugleichen. Aber nicht der neue „Star Trek“. Einige Szenen sind so dunkel, dass das Geschehen nur noch schemenhaft zu erkennen ist. Eine professionelle 3D-Produktion sieht anders aus.

Trotz der hohen Taktrate ist der Film jedoch nicht oberflächlich. Verhandelt wird unter anderem, wie sich eine Gesellschaft weiterentwickeln kann, über den Konflikt mit anderen Gesellschaften oder doch besser durch Integration der Fremden. Gleichzeitig geht es aber auch um das Gefühl der Ausgrenzung und wie daraus Gewalt entsteht. So gesehen ein sehr aktueller Film.

"Star Trek: Beyond" ist dennoch in erster Linie ein Film, der Spaß machen soll. Er verbreitet gute Laune, nicht zuletzt wegen der Schauspieler, die wie eine bereits seit Jahren zusammenspielende Fußballmannschaft aufeinander abgestimmt agieren. Vor allem die Szenen zwischen Spock (Zachary Quinto) und Dr. "Pille" McCoy (Karl Urban) werden getragen von einer ausgezeichneten Darstellerleistung. Der Film ist nicht ganz so gut wie der erste Teil mit der neuen Enterprise-Crew, doch auf jeden Fall besser als Teil 2.

"Star Trek: Beyond" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Samstag 23 Juli 2016 0:03

Filmkritik: "Independence Day: Wiederkehr"

Geschrieben am Montag 18 Juli 2016 um 22:30 von Roland Freist

Noch mehr Hubraum

"Hubraum ist nur durch eins zu ersetzen – noch mehr Hubraum." Dieser Satz, normalerweise geäußert von Liebhabern amerikanischer Wagen mit Motoren, die eher Schiffsdieseln gleichen als herkömmlichen Benzinern, könnte auch als Motto über "Independence Day: Wiederkehr" stehen. Denn die zentrale Handlungsidee der Fortsetzung des Emmerich-Films von 1996, einem der erfolgreichsten Blockbuster aller Zeiten, ist die Rückkehr der Aliens in einem Schiff, das sich neben den fliegenden Kuchenplatten aus Teil 1 ausnimmt wie ein Chevy Impala neben einem Smart. ("Es wird auf dem Ozean landen!" "Wo genau?" "Auf dem ganzen Ozean.")

Ansonsten reiht der Film vor allem Versatzstücke des Originals aneinander, die dort gut funktioniert haben. Die spektakuläre Zerstörung von New York und dem Weißen Haus, die patriotischen Durchhalteparolen des Präsidenten, Dr. Brakish Okun (Brent Spiner) in seinem unterirdischen Alien-Labor, David Levinson (Jeff Goldblum) und sein Vater Julius (Judd Hirsch) – alles ist wieder da. Das muss nichts Schlechtes sein: J. J. Abrams hat bei "Star Wars: Das Erwachen der Macht" ebenfalls über weite Strecken einfach noch einmal die Handlung von "Episode 4" wiederholt, und es ist dennoch ein guter Film geworden. Doch der Respekt vor dem Mythos und die Liebe zu den Figuren, die dort in jeder Einstellung spürbar waren, fehlen dem neuen "Independence Day" völlig.

Dabei ist die Grundidee nicht einmal schlecht: Nach dem Sieg über die Aliens aus Teil 1 haben die Menschen ein Notsignal übersehen, das eines der abgestürzten Raumschiffe aussendet. Blöd gelaufen, denn plötzlich steht ein neues Mutterschiff vor der Tür, an Bord eine Alien-Königin, bedeutend größer und stärker als das bereits bekannte Fußvolk – James Camerons "Aliens: Die Rückkehr" lässt grüßen. Und natürlich will sie Rache. So weit, so gut. Doch dann erfolgt der Auftritt eines neuen Außerirdischen, einer wasserballgroßen weißen Kugel, die sprechen und sich mit weißen Nebeln umgeben kann und ansonsten fatal an den lustigen, kleinen Außerirdischen aus John Carpenters "Dark Star" erinnert. Er verrät den Menschen, die ihn zuvor abgeschossen hatten, dass die bösen Aliens seine Feinde und zudem derzeit in Begriff seien, den Erdmantel anzubohren, um die Energie aus dem Inneren abzusaugen. Außerdem stellt sich heraus, dass die Original-Aliens Angst vor ihm haben, da seine Rasse über Waffentechnologie verfügt, um sie zu vernichten. Warum er dann trotzdem der letzte seiner Art ist, bleibt ein wenig im Dunkeln. Egal: Wenn die Menschen ihn gegen die bösen Aliens und ihre Königin beschützen, wird er ihnen später im Kampf gegen sie helfen. Deal.

Ich muss zugeben, ich mochte den ersten "Independence Day". Das war keine große Kinokunst, aber die DVD eignete sich gut für warme Sommerabende, wenn man zu müde war, um etwas Anspruchsvolles zu sehen oder zu lesen. Der Film erforderte kein Nachdenken, es kam keine große Spannung auf, aber man konnte der Handlung einfach folgen, die Figuren waren sympathisch und es gab einige schöne Special Effects. Der neue Film wirkt dagegen nur kalt kalkuliert und steril, daran können auch die guten Schauspieler nichts ändern. Will Smith, der nicht mehr dabei ist und dessen Captain Steven Hiller für tot erklärt wird, hätte dem Film vermutlich gutgetan, aber das Elend wohl dennoch nicht verhindern können. Die neue Hauptfigur, der Kampfpilot Jake Morrison, gespielt von Liam Hemsworth ("Die Tribute von Panem"), ist genauso aalglatt wie der Rest des Films. Jeff Goldblum, Judd Hirsch, Bill Pullman (als vollbärtiger Ex-Präsident), William Fichtner und Charlotte Gainsbourg dagegen können sich auf ihre Routine verlassen, die verhindert, dass sie selbst in einem solchen Film schlecht aussehen.

"Independence Day: Wiederkehr" setzt darauf, dass die Zuschauer aus den 90er Jahren aus nostalgischen Gründen eine Fortsetzung des Originals sehen wollen. Doch was zum Schluss bleibt, ist nur Ernüchterung.

"Independence Day: Wiederkehr" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Erste und letzte Bilder berühmter Serien

Geschrieben am Donnerstag 14 Juli 2016 um 11:19 von Roland Freist

Moderne Fernsehserien sind oft Gesamtkunstwerke, durchkomponiert bis zur letzten Kameraeinstellung. Bei einigen davon haben die Macher sogar darauf geachtet, dass das letze Bild noch einmal Bezug nimmt auf den Anfang der Serie, die erste Einstellung, die der Zuschauer in der ersten Folge zu sehen bekam. So ergibt sich der Eindruck eines geschlossenen Ganzen, der Regisseur signalisiert, dass die Geschichte damit abgeschlossen ist. Das folgende Video fasst einige der ersten und letzten Einstellungen bekannter Serien zusammen und zeigt sie parallel nebeneinander an.

Bearbeitet: Donnerstag 14 Juli 2016 11:41

Was verdienen die Beteiligten an einem 200-Millionen-Dollar-Film?

Geschrieben am Dienstag 12 Juli 2016 um 11:48 von Roland Freist

Wenn Produktionsbudgets die Marke von 200 Millionen Dollar überschreiten, äußert sich das normalerweise in einer prächtigen Ausstattung, tollen Effekten, riesigen Heerscharen von Technikern und Helfern und teuren Stars. Die großen Namen an der Spitze der Cast-Liste verdienen tatsächlich eine Menge Geld mit ihren Rollen und sind zudem meist noch am Gewinn beteiligt. Doch weiter unten werden selbst bei den großen Blockbuster-Produktionen oft nur Hungerlöhne bezahlt, wie die folgende Aufstellung zeigt. Sie stammt von der Zeitschrift Vanity Fair, die offenbar ebenfalls eher knauserig ist: Als letzter Eintrag in der Liste taucht der Journalist auf, der die Daten recherchiert hat. Er bekam dafür 500 Dollar.

Bearbeitet: Dienstag 12 Juli 2016 21:46

Filmkritik: "The Assassin"

Geschrieben am Sonntag 03 Juli 2016 um 23:38 von Roland Freist

Arts ja, martial nein

Von einem Martial-Arts-Film, und vor allem von einem asiatischen, erwartet man in aller Regel atemberaubende Kampfszenen, unmöglich erscheinende Stunts, blitzschnelle, oft per Zeitlupe verlangsamte Bewegungen und natürlich Mönche oder andere weise Lehrer, die exotische Kampfstile beherrschen und an den Protagonisten weitergeben. Dazu noch eine schöne Rachegeschichte, und der Film ist perfekt.

"The Assassin" ist anders. Es ist einer der ungewöhnlichsten Martial-Arts-Filme, die je gedreht wurden, und zudem wohl der poetischste. Für den taiwanischen Regisseur Hsiao-Hsien Hou (dessen frühere Filme ich nicht kenne) ist es der Einstieg in das Genre, und er hat etwas ganz Eigenes daraus gemacht.

Die zugrundeliegende Geschichte orientiert sich allerdings an den üblichen Mustern: Im China des 9. Jahrhunderts versuchen einige Provinzgouverneure sich von der Zentralmacht in der Hauptstadt und dem Kaiser abzusetzen und ihre eigene Macht auszubauen. So auch in Weibo nahe der koreanischen Grenze, wo die zehnjährige Nie Yinniang (Qi Shu, "The Transporter") in die Obhut einer Nonne gegeben wird, damit ihr Cousin Tian Ji’an (Chen Chang, "Red Cliff") ungefährdet durch Konkurrenz Anspruch auf den Posten des Gouverneurs erheben kann. Die Nonne bildet Nie Yinniang zur Attentäterin aus und erteilt ihr Aufträge, gleich zu Anfang des Films ermordet ihre Schülerin einen verbrecherischen Politiker. Damit ist die Ausbildung von Nie Yinniang abgeschlossen, und 13 Jahre nach ihrem Abschied kehrt sie an den Hof ihrer Heimatprovinz zurück. Allerdings hat sie auch noch einen Auftrag im Gepäck. Sie soll ihren Cousin, der es wie geplant zum Gouverneur gebracht hat, möglichst bald nach ihrer Ankunft töten. Doch das ist nicht so einfach, denn Nie Yinniang hatte sich als Kind in Tian Ji’an verliebt und sollte ihn mit Erreichen der Volljährigkeit sogar heiraten. Doch die Machtkämpfe am Hof haben das verhindert.

Diese Grundkonstellation mit dem Widerstreit zwischen Gefühlen und Pflichterfüllung wird erweitert durch ein nahezu undurchschaubares Geflecht aus Intrigen, Familienbanden, Eifersucht und der Gier nach Macht. Als Zuschauer hat man Schwierigkeiten, das alles zu durchschauen, doch das ist auch nicht unbedingt nötig. Wichtiger als das Verständnis der Details ist das Bild einer äußerlich sehr starren und auf Konventionen basierenden Gesellschaft, die sich in ihrem Inneren jedoch absolut chaotisch präsentiert.

Regisseur Hsiao-Hsien Hou erzählt die Story der Attentäterin in beinahe schon aufreizender Langsamkeit. Kameraschwenks, die wie in Zeitlupe gedreht erscheinen, bestimmen das Tempo. Menschen stehen teilweise mehrere Sekunden regungslos voreinander, ohne sich zu bewegen oder ein Wort zu sagen. Und wenn sie sprechen, ist es immer nur das Notwendigste, ein oder zwei Sätze müssen genügen. Der Film blendet Untertitel ein, um die wechselnden Schauplätze und die Figuren vorzustellen. Zwischendurch gönnt er sich immer mal wieder eine Pause, in der er einfach nur Baumwipfel zeigt, die sich im Wind wiegen, oder die Bildung von Nebelschwaden verfolgt, nicht unähnlich den Naturmeditationen von Terrence Malick.

Aber es gibt auch wirklich viel zu sehen. Betörend schöne Landschaftsaufnahmen hat Kameramann Ping Bin Lee ("In the Mood for Love") eingefangen, Bilder, in die man regelrecht eintauchen möchte, perfekt in ihrer Farbzusammenstellung und Schärfe und Komposition. Als Standbilder hätten sie vermutlich gute Chancen auf einen Preis bei einem Fotowettbewerb.

Doch Vorsicht: Wer nicht die erforderliche Ruhe mitbringt, um sich auf solche Bilder und das niedrige Erzähltempo einzulassen, wird sich in "The Assassin" vermutlich langweilen. Denn, und auch das muss gesagt werden, eigentlich handelt es sich hier nicht um einen Martial-Arts-Film. Es gibt einige wenige Kampfszenen, doch sie sind schnell wieder vorbei, und der Regisseur schenkt ihnen keine besondere Aufmerksamkeit. Vor allem gibt er dem Zuschauer keine Gelegenheit, die Bewegungen der Kämpfer zu studieren. Vieles geschieht abseits der Kamera oder von einem der Körper verdeckt. Teilweise gehen die Beteiligten auch nach wenigen Sekunden bereits wieder auseinander, wortlos, ohne erkennbare Verletzungen. "The Assassin" ist ein sehr schöner Film, die Beschreiung einer fremden, teilweise märchenhaften Welt. Doch für Kampfkunst-Freunde ist er eher wenig geeignet.

"The Assassin" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

« Juni 2016 | Zurück nach oben | August 2016 »