Filmkritik: "Der Hobbit – Eine unerwartete Reise"
Mittelerde reloaded
"Jede gute Geschichte ist es wert, ausgeschmückt zu werden." So sagt es Gandalf (Ian McKellen) an einer Stelle in diesem überlangen Film. Und es scheint so, als habe sich Regisseur Peter Jackson diesen Satz während der Arbeit an "Der Hobbit – Eine unerwartete Reise" übers Bett gehängt. Denn der Film besteht zu einem großen Teil aus Nebenhandlungen und Erzählungen der Vorgeschichte, die im Buch entweder nur kurz angerissen werden oder auch überhaupt nicht vorkommen. Das geht natürlich in Ordnung: Wenn die Drehbuchautoren gute Geschichten zu erzählen haben, ist mir die Werktreue weitgehend egal. Puristen werden natürlich die Nase rümpfen. Auf der anderen Seite besteht allerdings die Gefahr, dass sich der Film aufgrund der ständigen Abschweifungen bei seiner Erzählung verzettelt und die Handlung aus dem Rhythmus gerät. Und genau das ist eines der Mankos dieses ersten Teils der Hobbit-Saga.
Doch zunächst zu den positiven Aspekten: "Der Hobbit" ist ein gut gemachtes, großes Epos, das nach einer langen Anlaufphase Spannung und Dynamik entwickelt und, abgesehen von einigen etwas langatmigen Dialogphasen, nie den Wunsch entstehen lässt, es möge hier doch bitteschön mal etwas vorangehen. Der Film erzählt die Geschichte einer Gruppe von zwölf Zwergen, die sich mit ihrem Anführer Thorin Eichenschild (Richard Armitage) aufgemacht haben, ihr verloren gegangenes Reich im Inneren eines Berges zurückzuerobern. Das wurde bereits vor längerer Zeit von einem Drachen erobert, der es sich mittlerweile inmitten des riesigen Goldschatzes der Zwerge gemütlich gemacht hat. Der Zauberer Gandalf vermittelt dem kleinen Zwergentrupp zudem den Hobbit Bilbo Beutlin (Martin Freeman, der Dr. Watson aus der TV-Serie "Sherlock") als Gefährten, den er als einen "Meisterdieb" anpreist. Womit sich Bilbo diese Bezeichnung verdient hat, kann Gandalf jedoch selber nicht genau sagen. Auf dem Weg Richtung Drachenberg muss die Gruppe mit Trollen und Orcs fertig werden, und Bilbo übernimmt von Gollum (Andy Serkis) den Ring "sie zu knechten, sie alle zu finden …".
Die literarische Vorlage, "Der Hobbit" von J.R.R. Tolkien, hat in meiner Ausgabe einen Umfang von 383 Seiten, die drei Bände von "Der Herr der Ringe" kommen zusammen auf über 1000 Seiten. Wenn beide Werke als Vorlage für jeweils drei Filme dienen sollen, muss die Handlung des "Hobbit" also stark gestreckt werden. Bei den Dialogen hat man regelmäßig den Eindruck, dass die Figuren mit ein oder zwei Sätzen weniger auch ausgekommen wären. Später im Film gibt es Einsprengsel wie etwa das Treffen der alten Gang, bestehend aus Gandalf, Elrond (Hugo Weaving), Galadriel (Cate Blanchett) und Saruman (Christopher Lee), die man deutlich hätte kürzen oder sogar komplett weglassen können, da sie für die Handlung kaum eine Bedeutung haben. Insgesamt muss man jedoch sagen, dass der Film weniger auf Zeit spielt, als es zu befürchten war. Zum Schluss findet er sogar zu einem Laufrhythmus, den man als schnelleres Joggen beschreiben könnte.
Die Faszination von "Der Herr der Ringe" will sich trotzdem nicht einstellen. Das liegt zum einen an den Bildern, an denen man sich in den vergangenen zehn Jahren im Kino, auf DVD und im Fernsehen einfach sattgesehen hat, diese Mischung aus dem grünen Irland-Kitsch des Auenlands, neuseeländischen Gebirgslandschaften und den orange-grauen Farbpaletten der Szenen untertage. Mittelerde hat schlichtweg den Reiz des Neuen verloren.
Zum anderen spielt auch das große Thema des Films eine Rolle. In "Der Herr der Ringe" ging es um den Kampf Gut gegen Böse und letztlich um nichts Geringeres als um die Rettung der Welt. "Der Hobbit" dagegen handelt von Zwergen, die ihr Gold zurückhaben wollen. Nun ja. Zwar erklärt ihnen Bilbo in einer der letzten Szenen des Films, dass es ihnen in Wahrheit um die Rückeroberung ihrer verlorenen Heimat ginge. Bezeichnend jedoch ist, dass den Zwergen dieser Gedanke bis dahin offenbar nicht selbst gekommen war.
Technisch ist der Film auf höchstem Niveau. Peter Jackson reizt die aktuellen Möglichkeiten der digitalen Special Effects voll aus und setzt sie kunstvoller ein als noch in "Der Herr der Ringe". Die 3D-Aufnahmen hingegen sind, wie bei so vielen anderen Filmen auch, überflüssig. In den meisten Szenen sind sie kaum wahrnehmbar, und auf die paar Gesteinsbrocken, die vermeintlich in den Zuschauerraum fliegen, hätte man verzichten können. Jackson hat zudem mit 48 Bildern pro Sekunde gedreht. Die Kinos benötigen dafür einen speziellen Projektor, ansonsten bleibt es bei den 24 Bildern des Standardformats. Die 48er Version von "Der Hobbit" bringt vielleicht zehn Prozent mehr Detailreichtum und Bildschärfe auf die Leinwand, unbedingt notwendig ist sie nicht. Man kann sich diesen Film in 2D und mit 24 Bildern pro Sekunde ansehen, ohne etwas zu verpassen.
"Der Hobbit" ist großes, gut gemachtes Unterhaltungskino. Wer ihn sich anschaut, wird den Kauf der Kinokarte nicht bereuen. Aber wer stattdessen auf den Weihnachtsmarkt geht und für das gleiche Geld mit Freunden zwei Becher Glühwein trinkt, hat einen genauso schönen Abend.
"Der Hobbit – Eine unerwartete Reise" in der IMDB
Der deutsche Trailer:
Geschrieben am Donnerstag 20 Dezember 2012 um 17:33 von Roland Freist
Bearbeitet: Montag 15 Dezember 2014 23:39
Tweet